1. Buchrezension von Sibylle Glanzmann, Astrologie Heute Februar/März 1996

Am 9. Januar 1992 entdeckten amerikanische Astronomen einen neuen Kleinplaneten, der wie Chiron eine sehr exzentrische Umlaufbahn um die Sonne beschreibt: Bei Sonnennähe überkreuzt er die Saturnbahn nach innen, bei Sonnenferne überschreitet er nicht nur die Uranus-, sondern auch noch die Neptunbahn nach aussen. Für einen vollständigen Umlauf benötigt er etwa 92 Jahre. Als "Mischwesen" zwischen Asteroid und Komet wurde er nach einem Kentauren der griechischen Mythologie benannt: Pholus.

Pholus erleidet ein ähnliches Schicksal wie Chiron: Wie dieser zeichnet er sich einerseits durch besondere Weisheit aus, und der Mythos berichtet, Pholus habe sich unter den Kentauren durch seine Meisterschaft im "haruspicium", der Weissagung aus den Eingeweiden der Opfertiere, hervorgetan; und wie Chiron zieht sich auch Pholus versehentlich eine Verletzung am Fuss zu, als er sich während des Kentaurenkampfes, bei dem Herakles die meisten Kentauren mit Giftpfeilen zur Strecke bringt, neugierig bückt, um einen dieser Pfeile aus der Leiche eines gefallenen Artgenossen zu ziehen. Im Gegensatz zu Chiron ist Pholus jedoch sterblich und verendet sogleich an seiner Wunde.

Mit grosser Sorgfalt sind die Autoren des vorliegenden Buches dem Mythos von Pholus nachgegangen. Im Anhang sind sogar alle antiken Originaltexte, in denen Chiron und Pholos erwähnt werden, in deutscher Übersetzung nachzulesen. Verdienstvoll ist auch die Darstellung der astronomischen Fakten und der Entdeckungsgeschichte von Pholus.

Was die Deutung dieses Kleinplaneten anbelangt, orientieren sich die Autoren streng am mythos von Pholus und sehen in diesem vor allem ein Prinzip der Verwandlung und - dem überraschenden Tod des Kentauren entsprechend - des plötzlichen Übergangs von einer Situation in eine andere. Auch das Prinzip der wissenschaftlichen Neugierde wird Pholus zugeordnet, da er beim Versuch stirbt, das Geheimnis der Wirksamkeit von Herakles' vergifteten Pfeilen zu erforschen. Beide angesprochenen Prinzipien kennen wir jedoch schon im Zusammenhang mit Pluto (Transformation) und Uranus (Forschergeist). Angesichts der geringen Zeit, die seit der Entdeckung von Pholus verstrichen ist, sind bei dessen Deutung noch einige Vorbehalte anzumelden. Es sei jedoch den Interessierten selber überlassen, die hier gegebenen Deutungen der Transite und der Häuserpositionen von Pholus anhand des eigenen Horoskops nachzuprüfen.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob es tatsächlich sinnvoll ist, nun für alle weiteren Himmelskörper, die auf eigenen Bahnehn um die Sonne kreisen, eine astrologische Interpretation zu entwerfen. Die Autoren haben diese Problematik zwar gesehen, begründen die Wichtigkeit von Pholus aber damit, dass dieser wie Chiron als Schlüsselplanet zwischen Saturn und den transsaturnischen Planeten fungiere. Neben Chiron und Pholus warten jedoch noch mindestens vier weitere solcher Schlüsselplaneten auf ihre astrologische Interpretation. Ein weites Feld tut sich also auf für alle, die sich auf dem Gebiet der Astrologie schöpferisch betätigen wollen! Mir will nur scheinen, dass wir schon angesichts von zehn Planeten oft genug unsere liebe Mühe haben, vor lauter Sternen den ganzen weiten Himmel noch zu sehen...

Sibylle Glanzmann, Astrologie Heute Nr. 59, S. 60