verwundeter Kentaur

Der dritte Kentaur Nessus Provisorisches Symbol für Nessus, erfunden von Robert von Heeren im Jahre 1997

Namensvorschlag von Astrologen für den 3. Kentauren wurde offiziell angenommen

, München, 21.5.1997

(Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form in der Zeitschrift merCur, Ausgabe 4/97, in der Zeitschrift Meridian unter dem Titel "Nomen est Omen", Ausgabe Juli/August '97, in den Hamburger Heften unter dem Titel "Ein historisches Ereignis" in der Ausgabe 3/97 und im Astrological Journal der British Astrological Association, Volume 39/6)

Italienische Übersetzung/Traducone Italiano: Il terzo Centauro Nesso, (Traducone dell Isabella Orsini, 2003)

Im April 1997 hat die Internationale Astronomische Union (IAU) zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Namensvorschlag von Astrologen für einen Kleinplaneten akzeptiert. Es handelt sich um den im April 1993 entdeckten 3. Kentauren "1993 HA2" (Entdeckungshoroskop), der gemäß dem Vorschlag von Dieter Koch, Zane Stein und mir jetzt offiziell "Nessus" heißt (lat. für griech. "Nessos"). Die offizielle Bekanntgabe der Benennung war am 22. April 1997 um 22h10m Weltzeit per weltweit versendeter EMail vom Smithsonian Astrophysical Observatory in Cambridge, USA-MA aus (siehe Abbildung 1. In diesem Horoskop steht Nessus bezeichnenderweise exakt an der 3. Häuserspitze). Nessus ist nun somit neben den beiden vorher entdeckten Kentauren Chiron (1977) und Pholus (1992) der dritte benannte Kentaur. Bei den Kentauren handelt es sich um eine kleine Gruppe von derzeit sieben außergewöhnlichen Kleinplaneten: sie sind weder herkömmliche Kometen, noch typische Asteroiden (siehe "Ungewöhnliche Brückenschläger"). Gleichzeitig besitzen sie teilweise Eigenschaften beider Klassen. Sie wandeln auf sehr unterschiedlichen und überwiegend besonders elliptischen Bahnen im äußeren Sonnensystem. Ihr Ursprung liegt höchstwahrscheinlich im Kuipergürtel jenseits der Neptun- und Plutobahn. Aus diesem wurden sie vor Jahrmillionen durch Neptun herausgerissen und in das Innere des Sonnensystems abgelenkt, wo sie dann im Lauf der Zeit die jetzigen Bahnen einnahmen. Sie berühren oder überkreuzen meistens die Bahnen der Hauptplaneten und haben dementsprechend lange Umlaufzeiten von 49 (Chiron) bis ca. 123 Jahren (Nessus).

Die Vorgeschichte und Gründe des Namensvorschlages

Während unserer Arbeit am Buch über Pholus kontaktierten Dieter Koch und ich die Entdecker von Pholus (und Nessus) David L. Rabinowitz und Jim Scotti per EMail. Zu unseren Fragen bezüglich den astronomischen Eigenschaften von Pholus und anderen jüngst entdeckten Kleinplaneten antwortete Scotti ausführlich. Während einer dieser EMail-Korrespondenzen äußerte Scotti damals seine Befürchtung, es könnten noch so viele Kentauren entdeckt werden, daß der Vorrat an Kentaurennamen aus der Mythologie möglicherweise nicht ausreicht. Wir recherchierten über 84 Kentaurennamen (was die Befürchtung zerstreute), die wir am 31. Mai 1995 an ihn und auch an den Leiter des Minor Planet Center (Abteilung der IAU und weltweite Zentrale für Entdeckungen der Astronomie) Dr. Brian D. Marsden, der auch für Benennungen zuständig ist, schickten.

In dieser EMail schlugen wir für den 3. Kentauren "1993 HA2" den Namen "Nessus" vor, weil uns der Kentaur aus folgenden Gründen dafür prädestiniert schien:

  1. Die Bahn von "1993 HA2" verläuft sehr elliptisch zwischen Saturn und Pluto (Abbildung 2). Sie schlägt zwischen den beiden Planeten eine Brücke. "1993 HA2" führt aus der geregelten Welt Saturns in plutonische Sphären.
  2. Nessos' Mythologie hat engen Bezug zu plutonischen Themen: aus Rache für die tödliche Verwundung seines Herzens durch Herakles' Giftpfeil verursacht er noch im Todeskampf durch eine gemeine List dem großen griechischen Helden später (sozusagen als "Spätfolge") entsetzliche Schmerzen. Herakles merkt, daß sein Ende naht und opfert sich auf dem Scheiterhaufen. Dies führt schließlich zur Reinigung (vom irdischen Wahnsinn) und Himmelfahrt, Erlösung und Unsterblichkeit des Helden!
  3. Neben Chiron und Pholos ist Nessos der dritte und letzte Kentaur, der mit einer tiefgründigen und berühmten Mythologie ausgestattet ist. Sie hat seit je her viele Künstler inspiriert.

Die Reaktionen

Dr. Marsden bedankte sich für die Liste und leitete sie und den Namensvorschlag an die Benennungskommission weiter. Jim Scotti bedankte sich ebenfalls für die Liste, hatte aber Vorbehalte zu den Kentauren, wegen ihrer in der Mythologie oft krass geschilderten Wildheit und Neigung zur Gewalttätigkeit. Von Mitte 1995 bis Anfang 1997 war Sendepause. Es sah beinahe so aus, als würde man unserem Vorschlag nicht folgen. Im Februar 1997 ergriff der amerikanische Chironspezialist Zane Stein noch einmal die Initiative: er schickte Dr. Marsden Texte zu Nessos' Mythologie. Marsden antwortete daraufhin, daß er sich für die Benennung nach diesem Kentauren im April 1997 einsetzen werde. "1993 HA2" heißt jetzt offiziell Nessus.

Eine Kooperation zwischen Astronomen und Astrologen bei der Benennung von Planeten hat es bisher nicht gegeben. Interessanterweise ist es gerade bei den "Brücken"-Planeten der Kentauren zu einer kleinen, aber bedeutsamen Annäherung zwischen den beiden Disziplinen gekommen. Ohne die Offenheit und Unterstützung von Jim Scotti und Dr. Brian Marsden wäre dies nicht möglich gewesen.

Auf meine kleine Bedankungs-EMail im Anschluß an dieses Ereignis antwortete Marsden kürzlich mit ausdrücklichem Dank für unsere Unterstützung bei der Recherche der Kentaurennamen und -mythologien. Er regte uns an, für die noch unbenannten vier Kentauren Namensvorschläge einzureichen.

Eine besondere Triade

Bei den Entdeckungs- und Benennungsgeschichten von Planeten sind oft merkwürdige "Zufälle" im Spiel gewesen. Z. B. berechnete der Astronom Percival Lowell auf der Basis von Störungen der Uranus- und Neptunbahn Plutos Position auf ca. 8° genau voraus. Später stellte man fest, daß Lowells Daten dafür gar nicht geeignet waren. Der Name "Pluto" wurde darüberhinaus aus über 100 Namensvorschlägen ausgewählt. Die Zeit war eben reif für die Entdeckung und Benennung Plutos. Ist nicht auch die "zufällige" Kentauren-Namensgebung Chirons etwas ähnliches?

Betrachtet man die Bahnen der drei zuerst entdeckten Kentauren Chiron, Pholus und Nessus genauer, fällt ein weiterer merkwürdiger "Zufall" auf: sie verbinden zuerst Saturn mit Uranus (Chiron), dann Saturn mit Neptun (Pholus) und schließlich Saturn mit Pluto (Nessus), - schön der Reihe nach von Saturns Schwelle im Inneren zu den geistig-überpersönlichen Gefilden Plutos (Abbildung 3). Sollten wir diese drei Erst-Kentauren nicht als in sich geschlossene Gruppe und in ihrer Bedeutung zusammengehörige Triade betrachten? Wahrscheinlich sind Pholus und Nessus ähnlich wie Chiron, jeder auf seine einzigartige und unverwechselbare Art, "Lehrer" für die Öffnung zum Transpersonalen hin.

Das "Kentauren-Forschungsprojekt" (KFP)

Die weitere Erforschung der Kentauren wird noch interessante Erkenntnisse zur tieferen Bedeutung der gesamten Kentaurengruppe bringen. Vielleicht werden die Kentauren sogar Uranus, Neptun und Pluto astrologisch in einem neuen Licht erscheinen lassen. Schließlich haben die drei Transsaturnier jetzt eigene "Boten" und "Schlüssel"! Auch die astrologische Bedeutung Chirons wird durch die Differenzierung gegenüber Pholus und Nessus wohl noch mehr an Klarheit gewinnen.

Da auch für Nessus unter Berücksichtigung der Bahnstörungen der Hauptplaneten über mehrere Jahrhunderte hinweg eine zuverlässige Ephemeride erstellt werden kann (bei Chiron und Pholus bereits geschehen), steht einer Erforschung nichts im Wege. Allerdings gibt es beim Thema "Neue Planeten" zwei typische Vorbehalte, auf die ich noch kurz eingehen möchte: da gibt es das oft angeführte Argument, daß derartige Kleinplaneten astrologisch nicht relevant seien, weil sie z. B. zu klein sind. Ein schmerzlicher Trugschluß: Größe und Relevanz stehen in der astrologischen Symbolwelt in keinem direkten Zusammenhang. Bei Chiron -und durch uns auch bei Pholus- ist dies bereits deutlich geworden. Pluto wird übrigens in astronomischen Fachkreisen schon seit Jahren nicht mehr in die Hauptplanetenreihe eingeordnet, sondern gilt mittlerweile als (Doppel-)Kleinplanet (u.a. auch wegen seiner für Hauptplaneten untypischen elliptischen Bahn).

Zur verständlichen Angst vor Überschwemmung durch neue Deutungsfaktoren und der Gefahr der "Deutungsbeliebigkeit": m. E. leben wir in einer Zeit des immer tieferen Eindringens in die Vielschichtigkeiten und komplexen Zusammenhänge des Lebens. Ist es da nicht folgerichtig, daß wir auch in der Astrologie unseren Blick für das Spezielle und schwerer Erkennbare schärfen und uns einer gründlicheren Differenzierung stellen müssen? Darin liegt ja auch eine Chance zu mehr Klarheit und Interpretationstiefe. Außerdem müssen neue Planeten nicht automatisch pauschal Hauptfaktoren der Deutung sein. Evtl. sind manche von ihnen nur für spezielle Fragestellungen relevant, was aber im einzelnen erst noch überprüft werden muß. Die Einbeziehung neuer Deutungsfaktoren hat m. E. nicht zwangsläufig das x-beliebige Auswählen von "passenden" Deutungsfaktoren zur Folge (das wäre Mißbrauch), sondern ermöglicht eine Verfeinerung und Ergänzung der Interpretation. Möglicherweise tragen sie sogar entscheidend zum Verständnis des Gesamtbildes eines Lebensthemas bei. Kann z. B. der Themenkomplex Verwundung/Heilung/Ganzwerdung noch ohne die Einbeziehung Chirons wirklich differenziert und "up-to-date" genug ausgedeutet werden? Oder anders ausgedrückt: wenn es "uranische", "neptunische", "plutonische" u.s.w. Menschen gibt, warum sollte es dann nicht auch Chiron-, Pholus- oder Nessus-geprägte Menschen geben?

Sich neuen Deutungsfaktoren zu stellen, ohne dabei "den Wald vor lauter Bäumen zu übersehen", ist zugegebenermaßen keine leichte Aufgabe. Angesichts der revolutionären Entdeckungen (seit 1992 42 noch unbenannte Transneptunier und -plutonier und 7 Kentauren) werden wir jedoch auf Dauer nicht an diesen Fragen vorbeikommen. Abgesehen davon: welcher Astrologe würde beim Anblick eines Kentauren z. B. in Konjunktion mit einer seiner Hauptachsen nicht aufhorchen und neugierig werden?

Da von allen neuen Planeten NUR die ersten drei Kentauren bisher benannt und damit "faßbar" gemacht wurden, liegt es nahe mit der Erforschung ihrer astrologischen Bedeutung konsequent fortzufahren.

Um die Erforschung aller Kentauren zu fördern, möchte ich deshalb ein "Kentauren-Forschungsprojekt" initiieren, das interessierte Astrologen und Astrologinnen zur Beschäftigung mit einzelnen oder mehreren Kentauren anregen und gleichzeitig als Austausch- und Sammelstelle von Erfahrungen dienen soll. Soweit möglich, stelle ich dafür gegen Selbstkosten meine Berechnungsmöglichkeiten und verschiedenes Forschungsmaterial zur Verfügung. Mit meinen Kenntnissen und Erfahrungen aus der Pholusforschung kann ich bei Bedarf einzelne Projekte beratend unterstützen. Es ist für später vorgesehen, daß dieses Projekt zur Erweiterung des Austausches die Brücke in den nichtdeutschsprachigen Raum (auch via Internet) schlägt und evtl. auch Meetings abgehalten werden. Ein Artikel und Vortrag zu ersten astrologischen Erfahrungen und den astronomischen Eigenschaften von Nessus' ist in Vorbereitung.

Literatur:

  • Robert von Heeren, Dieter Koch: Pholus - Wandler zwischen Saturn und Neptun, Chiron-Verlag Mössingen 1995
  • Zane B. Stein: Wendepunkt Chiron, Chiron-Verlag Mössingen
  • Melanie Reinhardt: Chiron - Heiler und Botschafter des Kosmos, Edition Astrodata
  • Melanie Reinhardt: To the Edge and Bayond, CPA-Press London (neu!)
  • Karl Kerenyi: Die Mythologie der Griechen, Band 2, dtv.

 

Ungewöhnliche "Brückenschläger"

Was es mit den Kentauren auf sich hat

Die drei Bahnen von Chiron, Pholus und Nessus im äußeren Sonnensystem

Betrachten Sie diese drei Bahnen im 3D-Orbit Viewer java applet:


Die Kentauren sind eine Gruppe von (derzeit) sieben Kleinplaneten. Drei davon sind bis jetzt benannt. Chiron wurde 1977 entdeckt, Pholus 1992 und Nessus 1993. Die restlichen vier Kentauren haben bis dato (Stand: Mai 1997) nur provisorische Bezeichnungen: 1994 TA (zwischen Saturn und Uranus), 1995 DW2 (zwischen Uranus und Neptun), 1995 GO (zwischen Jupiter und Neptun) und 1997 CU26 (zwischen Saturn und Uranus). Die Durchmesser liegen im Fall Chiron (Kern) und Pholus bei 100 bis 160 km, im Fall Nessus bei ca. 58 km (wie auch bei 1995 GO).

Die Kentauren sind weder herkömmliche Kometen, noch typische Asteroiden. Chiron besitzt zwar einen Schweif und eine Koma, erscheint aber für gewöhnliche Kometen viel zu groß. Aufgrund seiner Gravitation hält er einen Teil der Koma als dünne "Atmossphäre" fest. Seine Aktivität kann unabhängig von der momentanen Entfernung zur Sonne plötzlich zu- oder abnehmen. Der Mechanismus seiner komplexen Kometenaktivität muß sich unter anderem auch deshalb von dem der normalen Kometen deutlich unterscheiden (man spricht von "kaltem Vulkanismus").

Gleichzeitig besitzen die Kentauren insgesamt teilweise Eigenschaften beider Klassen. Gerade aufgrund dieser "Mischgestalt" lag die Assoziation zu den Kentaurenfiguren nahe, was aber anfangs bei Chiron unbeabsichtigt war (es gab andere Gründe für dessen Benennung). Dennoch ist dies ein gutes Beispiel dafür, wie eine ursprünglich spielerisch-zufällige Namensgebung bzw. Klassifizierung sich im Nachhinein als sehr passend erwies.